In der Kurzgeschichte »Das Spiel beginnt« tauche ich in Vorgänge rund um Gleann Daloch, das Tal der Zwei Seen, ein. Glass Domhan, die Grüne Welt, spielt eine Rolle, aber auch die erwachenden Animositäten einiger Clanns in Erainn gegen die wieder eintreffenden Coraniaid.
Das Spiel beginnt
Amhairgin
Es gibt Menschen, die uns gesehen haben. Sie glauben an uns. Und es gibt Menschen, die uns noch nicht gesehen haben, aber trotzdem an uns glauben. Und dann gibt es Menschen, die nicht an uns glauben. Sie haben uns niemals gesehen.
Böse Menschen sollen uns nur sehen, wenn der richtige Augenblick gekommen ist. Danach wünschen sich diese Menschen, dass sie uns besser niemals gesehen hätten.
Bei anderen Menschen flattern und flirren wir vor deren Augen herum. Die haben das nie erwartet und glauben von dem Moment an uns und an eine wundersame Welt jenseits der ihnen bekannten Welt.
Ihr Menschen glaubt nur, was ihr seht, sagt ihr überheblich. Wir bringen euch bei, dass es noch mehr gibt, als ihr mit euren Augen seht. Und so erscheinen wir vor euren Augen. Und entschwinden wieder. Manchmal für immer, und dieser Mensch sieht uns nimmermehr. Aber er weiß von nun an, dass es uns wirklich gibt.
Natürlich leben auf Magira nicht nur Menschen. Zum Glück! Ihr Menschen seid störrisch, eigensinnig, unbeherrscht, nachtragend. Und überhaupt sehr seltsam. Die Welt, in der ich mit den anderen Wesen lebe, nennt ihr Glass Domhan, die Grüne Welt, die von manchen Menschen auch Anderswelt genannt wird.
Es gibt Zeiten, da zieht es uns in die Welt der Menschen. Dafür gibt es viele Gründe. Ein Grund ist, dass in eurer Welt immer etwas los ist. Ihr Menschen könnt nicht in Frieden leben, ihr betrügt und hintergeht, ihr seid gemein und hinterhältig und brutal.
Nun verstehe mich nicht falsch, all dies trifft auch auf die Wesen aus Glass Domhan zu. Nur tun wir das nicht aus reiner Bosheit, die euch Menschen innewohnt, sondern aus einem Spiel heraus. Und hernach, nachdem die kleine Bosheit gelungen ist, vertragen wir uns wieder und lachen gemeinsam und scherzen über das Geschehene.
Ihr Menschen schwört Rache. Das können wir auch – aber nur, wenn ein Mensch uns dazu herausfordert. Dann drehen wir den Stab um, und schwupps, hat er ein ekliges Geas am Bein.
Meist jammert ihr Menschen dann und wehklagt. Womit wir beim nächsten Problem sind, denn ihr Menschen seid echte … wie sagt ihr: Waschlappen. Was auch immer das sein mag, es zeichnet euch Menschen aus, über euer selbstverschuldetes Schicksal zu flennen und sich gar nicht mehr einzukriegen.
Wir lachen darüber.
Aber ich schweife ab. Oder war ich überhaupt schon beim Thema? Entschuldige. Ich bin eine Crithlonnraighe, eine »Schimmernde«. Ihr Menschen bezeichnt uns als Feenwesen. Wir sind nicht viel größer als eine Menschenhand, unsere Körper sind filigran und schön, und ihr Menschen seht uns ähnlich, nur dass ihr hässlich groß seid und grob und gar nicht grazil. Natürlich haben wir Flügel, hauchzart und durchscheinend. Und wenn wir im Mondenschein über die Wiesen und die Blumen und Bäume flirren, schimmern unsere Flügel in unfassbar vielen Farben. Deshalb habt ihr uns den Namen Crithlonnraighe gegeben. Jede von uns hat einen Namen wie der Schimmer, den wir ausstrahlen. Und jede weiß dann, wer gemeint ist, wenn wir übereinander sprechen. So einfach kann das Leben sein.
Menschen sind da komplizierter. Anstatt sich Namen zu geben, die zu euch passen, nennt ihr euch … ich weiß bis heute nicht, wie diese Namen zustande kommen. Anstatt sich »der kleine Dünne mit den zwei braunen Stumpen im Mund« zu nennen, heißt ihr dann Fionachbach oder Ay’daidai´didel´dum oder was weiß ich. Wie soll da eine wissen, wie der Gegenüber heißt. Manchmal seid ihr ja so störrisch und grummelt: »Meinen Namen nenn ich dir nicht!« Töricht, der Kerl heißt für mich »Holzbein mit Hängeohren, dem sein Haar hängt wie Trauerweiden«. Ja, so einfach kann unser Leben sein.
Sollte ich zum Thema kommen?
Schön still war’s all die Jahre am Gleann Daloch, dem Tal der Zwei Seen. Nicht wundern, ich nenne die Namen, die bei euch gebräuchlich sind. Mir ist das egal, und für euch macht’s die Sache einfacher. Ihr seid ja bekanntlich recht ungeschickt im Denken, und je leichter ich es für euch mache, umso zufriedener seid ihr mit euch selbst.
Still war es also, da wurden wir – meine Freunde und ich – eines frühen Morgens, der Mond glitzerte noch über dem See, unsanft in unserem Morgentanz gestört. Meine Schwestern waren genauso überrascht wie ich, denn seit vielen Zeiten hatte sich niemand mehr tief ins Tal getraut. Jetzt aber kamen zwei große Wesen aus dem Turm, der von den Coraniaid »An Gormtúr«, der Blaue Turm, genannt wird. »Coraniaid«, surrte meine Gefährtinnen, und so war es auch. Der Mann schritt schnell aus und verschwand alsbald, die Frau aber blieb. Und immer, wenn in den folgenden Nächten der Mondenschein durch die Wolken glitt, sahen wir die weibliche Coraniaid. Später kamen noch andere hinzu, Coraniaid und auch Menschen. Und in einer Nacht kehrte auch dieser männliche Coraniaid zurück.
Und während die Coraniaid uns schon zuvor sanft berührt hatte, sprach der Coraniaid uns in einer Nacht offen an. Coraniaid können das, sobald sie erfahren sind und alt und weise und wissen, wie sie mit uns Umgang pflegen müssen. Geben und nehmen, heißt es bei den Menschen, für uns ist es ein Gefühl des Hinwendens, aus dem ganz natürlich der Austausch von freundlichen Gesten entspringt.
Amhairgin heißt der Coraniaid, wiewohl wir ihn anders nennen. Wie wir ihn heißen, weiß er nicht. Hoffentlich, denn nicht immer sind unsere Namen nett in den Ohren derjenigen, die wir so benennen. Manch Missverständnis ist daraus schon erwachsen. Kurzum, bleiben wir also besser bei Amhairgin. Wir flirrten um ihn, als er uns eines Nachts zu sich bat, setzten uns auf seine Schultern, und zwei von uns stoben durch seine Haare, was ihn störte. Meine Geschwister können manchmal albern sein. Coraniaid mögen das nicht immer, und manchmal fehlt uns das Augenmaß, im richtigen Moment aufzuhören.
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»Wollt ihr das wohl bleibenlassen«, schnaubte der Coraniaid, und mit der Hand strich er sich durchs Haar. Die beiden Feen flatterten davon, und endlich war Ruhe. Wenigstens für einen Moment.
»Sprich mit mir, Coraniaid«, sirrte ich ihm ins Ohr.
Er betrachtete mich mit seinen eisblauen Augen. »Dann sorge dafür, dass das aufhört.«
Ich räkelte mich auf seiner Schulter und hörte ihm zu. Das Mondenlicht tanzte auf dem Wasser. Der Coraniaid saß auf einem hölzernen Steg am großen See, und die Nacht zog heran und tauchte die Wälder ringsumher in flüsternde Schatten.
»Ihr tanzt im Mondenschein, kleine Freunde«, sagte er, und ich sirrte und stimmte ihm zu. Er sah hinauf zum Himmel, wo sich eine dunkle Wolke anschickte, das Licht des Mondes zu schlucken. Kundige wissen, dass uns dies noch nicht schadet. Doch ein vollkommen verhüllter nächtlicher Himmel verhindert, dass wir aus der Glass Domhan in diese Welt wandern können. Und wenn des Nachts plötzlicher Regen einsetzt, treibt uns der zurück in unsere eigene Welt. Wir brauchen das Mondenlicht wie die Menschen die Sonne.
»Ich werde euch den Mondenschein geben, wann immer er Gleann Daloch erhellen soll.«
Ich schaute aufgeregt. Coraniaid können vieles, was Menschen unmöglich scheint, besonders die wirklich alten Coraniaid. Einen von ihnen hatten wir jüngst weitab von diesem Ort kennengelernt, Corrabheinn nannte er sich, und auch er sprach mit uns und schenkte uns das nächtliche Grün aus seinem Tal. Wobei das Wort »jüngst« nicht zutreffend ist, denn für Menschen ist dies Jahre her, für uns wie auch für die Coraniaid scheint es nur ein einziger Wimpernschlag.
»Der Mond steht nicht immer richtig«, wandte ich ein.
Der Coraniaid lächelte und fuhr fort: »Der Mond scheint für jedes Wesen, das ihn sehen will.«
»Allerdings«, flirrten meine Geschwister und plapperten wirr durcheinander. Mit einem kurzen Wink gebot ich ihnen Stille. Der Coraniaid zog schon seine Stirn kraus. Coraniaid sind geduldig, sie haben Zeit, so viel Zeit wie wir. Doch mögen sie nicht, wenn Zeit vergeudet wird – was wir nicht verstehen können, denn wozu sonst ist Zeit da, als Freude zu haben. Sei es so, die anderen schwiegen, und nur ich sprach.
»Lass ihn für uns scheinen, wenn uns danach zumute ist, Coraniaid«, wisperte ich. Ein wohliges Kribbeln durchströmte mich bei dem Gedanken, von nun an mit meinen Geschwistern in jeder Nacht durch das grüne Tal flimmern zu können, »und ich erweise dir unsere Gunst.«
»So sei es.« Er nahm mich sanft um die Hüften und setzte mich auf seine Handfläche. Ein Lächeln strich über seine Lippen, dann schaute er wieder ernst. »Du oder deine Geschwister mögen sich umhören, Schimmernde«, sagte er. »Unfrieden deutet sich an, und ich muss wissen, worum es geht, um Schaden von diesem Land und uns und euch fernzuhalten.«
Meine Geschwister schwebten neugierig um uns herum, doch bevor ihr Geplapper wieder einsetzte, surrte ich. »Das darf nicht sein. Zeichne uns ein Bild der Menschen, die uns bedrohen, und ich kümmere mich selbst darum.«
Der Coraniaid hob seine Hand, in der ich posierte, und wir schauten uns auf Augenhöhe an. Er sprach nun sehr leise. Laute Worte nämlich fegen wie wirbelnde Winde über uns hinweg. Um ehrlich zu sein, sie pusten uns um wie Strohhalme und hauen uns aus den zarten Kleidchen, die wir tragen.
»Du siehst es«, flüsterte er. Und ich sah den Menschen in seinen Augen, der Böses im Schilde führte, und ich merkte mir sein Angesicht und seine Statur und alles, was wichtig war. Dann flog ich hinauf, wirbelte einige Male hin und her, erzählte meinen Geschwistern, was zu tun sei, und ließ mich ein letztes Mal auf seiner großen Hand nieder. »So soll es sein«, schloss ich den kleinen Bund, und dann wehte ich davon, und meine Geschwister folgten mir hinein in den Mondenschein, der mit uns zusammen auf dem glitzernden Wasser tanzte.
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Am nächsten Abend bat mich der Coraniaid zu sich. »Es ist so weit«, sagte er mir, und ich stimmte zu, denn ich hatte den Menschen entdeckt, den ich in seinen Augen gesehen hatte.
»Dann spute ich mich, damit er mir nicht davonläuft.« Ein Scherz, denn kein Mensch kann flinker rennen, als wir fliegen können. Und ich erspürte ihn und folgte ihm, als er von An Láithreach, wie die Menschen das Dorf beim Tal der zwei Seen nennen, aufbrach.
Er schlich von den Häusern fort, verließ die ausgetretenen Wege, auf denen Menschen dahineilen, und hinterließ Spuren in den Wald im weichen Gras und auf dem zarten Boden. Seine groben Schuhe zertraten Gräser und junge Triebe, und hastig erklomm er den Berg. Bevor er die Höhe erreichte, verbarg er sich zwischen den Felsen und wartete.
Die Dunkelheit stülpte sich über den Wald und das Tal, und für einen Moment befürchtete ich, der Mond würde für diese Nacht vollends hinter den Wolken verschwinden. Doch dann brach eine Wolke auf, geteilt wie durch zwei Hände, die sie auseinanderschoben und eine breite Lücke schufen, und das Mondlicht fiel herab wie weicher Schnee und kleckste tiefe Schatten ins Gesicht des Mannes. Er war ein sehniger Mann mit schlanken Händen, mit denen er mich aber sicher zerquetschen konnte wie eine Maus, und sein Oberkörper war nackt und weiß fast wie Kuhmilch, als sähe er das Sonnenlicht nicht öfter als ich.
Menschen meinen ja, sie können sich anschleichen. Ich hörte die harten Schritte natürlich schon lange, bevor der zweite Mann aus dem Gebüsch kam. Wie ein Wildschwein brach er durchs Grün. Der neue Mann war von kräftiger Statur, hoch gewachsen wie der Coraniaid, mit langen Haaren und einer düsteren Lederrüstung. Er sah sich um, als könne er Wesen wie mich wirklich sehen, und flüsterte. Natürlich hörte ich jedes seiner Worte und die des anderen Mannes, als säße ich auf ihren Schultern.
»Wie läuft es?«, fragte der neue Mann. Er atmete schwer aus und ein, als habe er eine längere Strecke zurückgelegt. Ich beneide die Menschen wirklich nicht um ihre schweren, behäbigen Körper.
»Die nächste Ladung geht morgen raus«, antwortete der Mann aus dem Tal. Er strich sich mit den Fingern über die Stirn, auf der Schweiß glitzerte. »Es ist weniger als geplant.« Er öffnete den Mund, um mehr zu sagen, doch der Neue stoppte ihn.
»Verflucht, das darf nicht passieren, dafür bezahle ich dich«, raunzte er den Talmann an. Der zog seine Schultern ein wie meine Geschwister, wenn ich ihnen eine Standpauke halte. »Wir brauchen das Aithinn unbedingt, und wir brauchen noch viel mehr Lieferungen als bisher. Es muss mehr kommen, auf keinen Fall weniger. Tritt deinen Leuten in den Arsch! Oder wollen sie mehr Nathrod?«, seine Stimme zischte eisig.
»Tadhg, es ist …«, fing der andere Mann an, aber Tadhg – ich merkte mir den Namen natürlich – machte einen Schritt auf ihn zu, packte ihn an der Kehle und presste ihn gegen den mannshohen Felsen. Ich erschrak fast zu Tode, flirrte aus dem Schatten eines Baumes heraus und wäre vermutlich entdeckt worden, wenn der Mann aus dem Tal nicht gestrampelt und gehustet hätte. Tadhg hielt ihn im eisernen Griff. Das Gesicht vom Talmann färbte sich feuerrot.
»Noch mal meinen Namen, und du stirbst«, knurrte er. Ganz langsam lockerte er seinen Griff.
Der andere Mann keuchte, rieb sich den Hals. »Das … das hättet … ihr nicht …« Er würgte und blieb stumm.
Der Große stützte sich mit einer Hand am Felsen dicht beim Talmann ab. »Alles ist gut, mein Bester, alles ist gut. Sag mir nur, woran es hängt. Wenn mir die Antwort gefällt, dann läuft unser Geschäft so weiter wie bisher. Oder vielleicht noch besser. Was meinst du, wäre das nicht für uns beide ein gutes Geschäft?« Er neigte den Kopf zur Seite, als mustere er sein Gegenüber freundlich, aber ich konnte sein grausames Grinsen sehen. Und der Mann aus dem Tal sicher auch.
»Keine Nathrod, Herr, das ist es nicht. Coraniaid sind im Tal.« Seine Finger fuhren flüchtig über die nasse Stirn, der Schweiß lief ihm die Wangen hinab. »Sie überwachen seit ein paar Nächten die Fuhren mit Aithinn, die aus dem Bergwerk herausfahren. Wir können nur etwas abzweigen, wenn von der Brut keiner in der Nähe ist. Und es sind jetzt viele vom Clann Lochlainn dabei. Denen können wir nicht trauen. Vermutlich sind’s ehrliche Menschen.« Er grinste schief, wie wenn er Tadhg mit einem müden Scherz besänftigen wolle.
Witzig sein können Menschen übrigens auch nicht.
»Das ist nicht mein Problem, nicht umsonst haben wir dich als Gefolgsmann angeheuert, dass du uns solche Schwierigkeiten vom Hals hältst. Sorg dafür, dass die vom Clann spuren, besteche sie, bring sie zum Schweigen. Tu etwas!« Tadhg legte seine rechte Hand auf den Griff seines Schwertes, das er an seiner Seite trug.
Eine Eule beklagte sich lauthals über die Anwesenheit der zwei Menschen. Nur der aus dem Tal schaute sich um, der andere zuckte nicht mit der Wimper.
»Wer ist von den Coraniaid vor Ort?«, fragte er.
Der Talmann antwortete: »Ein Coraniaid namens Amhairgin.«
Tadhg spitzte die Lippen.
»Eine Weise Frau ist bei ihm, Ailinn heißt sie. Beide waren schon früher in Erainn, wie sie sagen.«
»Ich weiß«, fuhr Tadhg dazwischen. »Wer noch?«
Der andere Mann rutschte nervös mit dem Rücken am Felsen entlang. »Crich’cron wird der Magier genannt, der vor wenigen Nächten mit einem fliegenden Schiff ankam. Es landete beim Blauen Turm, ich hatte zeitig davon erfahren und war dort. Es war«, er stockte, »es war unglaublich, ein Schiff aus purem Glas, und es flog wie eine Feder durch die Lüfte und glitzerte wie ein reiner Diamant.«
Der Mann schaute hoch, sein Blick verträumt, als sähe er dieses sagenhafte fliegende Schiff leibhaftig vor Augen.
»Und ein junger Coraniaid namens Fionnbharr kam an und noch eine Weise Frau, die aber gleich in Nathirs Garten verschwand und deren Namen ich nicht kenne. Womöglich noch mehr, der Zugang nach Emhain Abhlach scheint offen zu sein. Aber ich musste mich verdrücken, bevor ich entdeckt wurde.«
Tadhg griff an seinen Gürtel und hielt einen Geldbeutel in den Fingern. »Das sollte für die vergangene Lieferung genügen und ausreichen, um die vom Clann zu schmieren. Halt deine Augen offen, ich bin in einer Woche wieder hier. Die nächste Lieferung muss unbedingt zum Hafen kommen, wir erwarten ein Schiff aus…«
In diesem Moment, und ich schimpfte innerlich, stob eine Rotte Wildschweine durchs Gesträuch, die beiden Männer fluchten und stampften davon. Ich folgte ihnen, doch hatte ich durch das Getöse und Gerenne die letzten Worte verpasst.
»Jetzt geh. Ich werde meinem Herrn berichten, und wehe dir, er ist nicht zufrieden mit dem, was du erreicht hast.«
Der aus dem Tal verschwand hastig wie ein Hase im Gestrüpp.
Ich eilte diesem Tadhg hinterher. Er verließ das Wäldchen, nahm ein Pferd und ritt davon.
Noch eine Weile flatterte ich hin und her, um mich zu beruhigen. Ich bin so aufregende Begegnungen nicht gewohnt. Nicht wegen der Menschen, sondern wegen der Wildschweine. Die sind viel schlauer als die Menschen, riechen uns und machen uns richtig Scherereien, wenn sie uns entdecken.
Unten am See gab ich einem meiner Geschwister schnell einen Auftrag. Nur wenig später traf sich am großen See der Coraniaid mit mir. Ich erzählte ihm von meinem Erlebnis. Er nickte oft, als wüsste er manches längst.
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Tadhg ritt wie der Wind. Es war eine gute Strecke bis in seine Heimat nahe der kleinen Stadt Arbealach. Dort erwartete ihn der Toissech, sein Clannführer. Nicht in seiner Burg, nein, dazu war dem Toissech die Angelegenheit zu delikat, sondern in einem Gemäuer, das im Ruf stand, verflucht zu sein. Sein Clannführer aber hatte ihm versichert, es sei natürlich nichts an einem solchen Fluch. »Geschwätz alter Weiber«, sagte er, »die sich auch vor dem fürchten, was in der Glass Domhan leben soll.«
Dabei schlummerte im Toissech das Coraniaid-Erbe, wie man munkelte, und sicher auch der Glaube an die Anderswelt, denn seine Mutter wurde hinter vorgehaltener Hand des Fremdgehens mit einem Coraniaid bezichtigt.
Wie auch immer, nach einem endlosen Ritt, der ihn auch nahe an Areinnall vorbeiführte, erreichte Tadhg die heimatlichen Gefilde. Die Sonne erlosch, er war pünktlich. Die Eingangstür hing schief in den Angeln. Er schob sich an ihr vorbei ins brüchige Gemäuer. Feuchter Lehmboden schluckte seine Schritte. Niemand war da. War er doch zu früh, würde er warten müssen?
Tadhg trat in den hintersten Raum und erschrak fast zu Tode. Auf dem letzten unbeschädigten Stuhl in der dachlosen Kammer saß sein Toissech und starrte ihn mit funkelnden Augen aus der Dunkelheit an. Aus dem Kamin stob eine aschfahle Wolke ins kahle Zimmer und zog wieder in den Abzug.
»Ihr seid früh, mein Herr«, sagte Tadhg und klopfte sich Staub vom ledernen Beinkleid.
»Mir ist nicht nach Geschwätz zumute«, sagte der Toissech. Kein Gruß an seinen Gefolgsmann, stattdessen ein tadelnder Blick, als wisse er schon, dass die Nachrichten nicht nur gut waren. »Berichte sofort!«
Tadhg verschluckte sein Räuspern. Das Schwert hatte er bei seinem treuen Pferd gelassen. Es hätte ihm ein Gefühl vager Sicherheit gegeben. Er kannte den Toissech lange, vielleicht schon viel zu lange. Er wusste, wie grausam er war, wen er über die Klinge hatte springen lassen, wen betrogen und hintergangen. Dieses Wissen würde ihn, da war sich Tadhg sicher, eines Tages selbst den Kopf kosten. Doch noch war es nicht die Zeit, sich auf und davon zu machen, noch lockten die Nathrod, die er für seine eigenen Taten einstrich.
»Die Coraniaid sind zurück«, sagte Tadhg lapidar. »Amhairgin und eine Weise Frau an seiner Seite, ein Zauberer und ein junger Coraniaid und eine andere Weise Frau, deren Namen unser Getreuer nicht kennt.« Für einen Atemzug glaubte Tadhg, dass die Nachrichten wohl doch nicht so schlimm waren, wie er gedacht hatte, denn sein Clannführer saß stumm und versteinert, wie wenn ihn nichts erschüttern könne.
Dann sprang der massige Toissech auf wie von der Schlange gebissen. »Gewürm!«, brüllte er und schleuderte den Stuhl durch den Raum, dass er an der Wand in Stücke zersplitterte. »War einer nicht genug! Der ist tot, für immer und ewig tot. Und jetzt kommen noch mehr. Nimmt es nie ein Ende?« Der Toissech zog zischend die Luft ein, seine giftgrünen Augen bohrten sich in Tadhg.
»Mein Herr, es sind nur eine Handvoll. Ich weiß …«, er hob beschwichtigend die Hände, weil er sah, wie sein Clannführer seine Wut kaum zügeln konnte. »Ich weiß um euren Hass, Herr, doch eure Pläne sind deshalb doch nicht in Gefahr.«
Tadhg nahm seinen Mut zusammen und schritt näher. »Solange Ihr das Ruder in der Hand haltet und es gelingt, unser Tun geheim zu halten, werden die Coraniaid nichts davon mitbekommen. Sie werden nicht einmal ahnen, wie sich das Unheil über ihren Häuptern zusammenbraut. Selbst die Coraniaid haben nicht überall Ohren.«
Tadhg grinste hinterhältig.
»Vielleicht hast du recht. Wir werden herausfinden, ob dieser Coraniaid auch diesen neuen Weg beschreiten will.« Der Toissech rotzte verächtlich auf den Boden und strich sich den Speichel vom Kinn. »Wenn ja, wird er sich noch wünschen, seine feinen Füße nie wieder auf erainnischen Boden gesetzt zu haben. Wir werden das Geschmeiß zurück nach Emhain Abhlach jagen. Sollen sie da Ringelreigen tanzen und verrotten. Und wenn uns Erainn gehört, wird unser Land wieder erblühen wie einst. Ohne Schwert keine Macht!«
Der Toissech griff an seine Hüfte, aber er hatte sein Schwert bei seinem Hengst vergessen und fuchtelte ins Leere. Sein klobiger Körper bebte, und selbst im scheuen Mondlicht sah Tadhg, wie das fleischige Gesicht seines Herrn noch immer vor Zorn brannte. »Ich habe einen weiteren Vertrag geschlossen. Wir brauchen Aithinn, Unmengen an Aithinn. Ich werde die Truhen mit Gold füllen, und dann kaufe ich mir die anderen Toissechs, und dann hat es ein Ende mit dem Dáil und diesem … Gewürm.« Der Toissech spie das Wort aus.
»So kenne ich Euch, mein Herr«, pflichtete ihm Tadhg bei, wie er es gelernt hatte in all den Jahren, die er an der Seite seines Clannführers stand. Er war ein guter Gefolgsmann, immer auf das Wohl seines Herrn bedacht. Jedenfalls solange es auch seinem Wohl diente. Doch sollte sich das Glück zu einer anderen Seite neigen …
»Unser Gefolgsmann im Gleann Daloch wird dafür sorgen, dass die nächste Lieferung pünktlich am Hafen ist. Wenn nicht, werde ich ihn ersetzen. Leute wie er sind käuflich.«
»Wie jeder von denen«, raunzte der Toissech, und obwohl unklar blieb, wen er mit »jeder von denen« meinte und ob er nicht auch Tadhg dazu zählte, nickte der Getreue.
»Du wirst sofort wieder ins Tal reiten und dich umsehen. Gib dich als Händler aus, meinetwegen als Handwerker, wenn es dienlich ist. Und nimm eine Wohnstatt dort für die nächste Zeit, sei meine Ohren und meine Augen, und lasse mich wissen, was da vor sich geht.« Der Toissech streckte seinen Leib, dass die Gelenke knackten. »Mein Rücken bringt mich noch um. Wie ich das Reiten hasse. Eile jetzt und tu deine Pflicht. Du hast sicher genug Nathrod, besorge dir davon, was du benötigst.«
Mit einem beiläufigen Wink entließ er seinen Gefolgsmann.
Tadhg fluchte beim Hinausgehen. So hatte er sich die Zusammenkunft nicht vorgestellt. Er hatte an eine Nacht auf einer weichen Schlafstatt daheim gedacht und seine Maid, die bei ihm lag. Was blieb jetzt? Er packte sein Pferd und stieg auf. Beim wütenden Blick zurück zum grauen Gemäuer sah er das stolze schwarze Pferd des Toissech, ein edler Hengst, der seinem Herrn entgegenkam, als der sich durch die schmale Tür zwängte. Ihm tat der Hengst leid, der einen besseren Reiter verdient hatte. Aber mehr noch bedauerte er sich. Diesen undankbaren Herrn hatte er wirklich nicht verdient.
Wie lange noch mein Herr?, fragte sich Tadhg. Das hing auch von ihm ab, irgendwie.
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Deatachmuch, der sanfte Geist aus Rauch und Qualm, hustete und schmauchte und stob durch den Kamin davon, verwehte mit dem Wind wie nie gewesen und trieb mit den Wolken hinweg. In Windeseile trug der Wind ihn ins Tal der Zwei Seen, wo die Schimmernden ihn erwarteten.
»Bleib hier«, riefen sie, denn der Wind war drauf und dran, ihn aus dem Tal wieder davonzutragen. Doch die Schimmernden webten mit ihren Leibern ein Netz um Deatachmuch und kitzelten und neckten ihn, und er erzählte ihnen haargenau, was er in dem verwüsteten Gemäuer so weit entfernt gehört hatte.
Bald wusste auch Amhairgin, was Tadhg und sein Toissech besprochen hatten.
Der Coraniaid lächelte.
Das Spiel hatte begonnen.
Und einen Nu lang hatte der alte Coraniaid nach seiner Ankunft befürchtet, in Erainn warte wieder nichts als Langeweile auf ihn …