Wann: Im Pegasusmond des Jahres 56 ndF
Wo: In einem verlassenen Haus im Stadtviertel Griansprus (Sonnenfichte) in Areínnall
Wer: Zwei Gestalten, gehüllt in dunkle Kapuzenmäntel
Warum: Anmerkungen unten nach der Geschichte
Zwei Gestalten haben sich verabredet. Als Treffpunkt wählten sie nach einigem Verhandeln ein marodes altes Haus in Griansprus. Dort stehen sie in Ermangelung von Sitzgelegenheiten beisammen und beäugen sich, soweit dies erkennbar ist, denn beide tragen dicke Tuniken, darüber weite Mäntel mit Kapuzen, die sie tief über ihre Gesichter gezogen haben.
Die Stimmung ist gereizt fast, die Nervosität ist mit den Händen greifbar, beide betrachten das Gespräch nur als notwendiges Übel, das sie schnell beenden wollen. Die eine Gestalt – Gestalt A – nicht ganz so schlank wie die andere Gestalt – Gestalt B – und zudem viel kleiner – wobei Gestalt B größer ist als der durchschnittliche Bewohner des Landes –, nimmt eine Kugel, groß wie ein Hühnerei, eingewickelt in ein dunkles Tuch, aus dem Mantel. Die Gestalt kniet sich hin, legt ein weiteres Tuch auf den Boden und wickelt das andere Tuch auf. Sie entnimmt dem Tuch eine Kugel, die aus ihrem Innern heraus grün zu flimmern scheint, und legt sie auf das Tuch.
»Nun ist Stille«, sagt die Gestalt mit weicher, tiefer Stimme. Dann beginnt das Gespräch. Sie wechseln kein Wort der Belanglosigkeit, sondern kommen sofort zum Anlass der Zusammenkunft. Gestalt A – ich nenne sie so, da beide sich nicht mit Namen ansprechen und es ungeklärt bleibt, ob beide den Namen der anderen Gestalt kennen – erklärt, dass sie im Namen eines Toissechs handele. Ein Auftrag sei zu erfüllen. Nach dem Tod von Corrabheinn handelt der aus drei Köpfen bestehende Dáil chaotisch, zudem brechen alte Feindschaften wieder auf, es deuten sich Intrigen im Hintergrund an, die schon zu Lebzeiten von Corrabheinn befeuert wurden oder jetzt, gleich nach seinem Tod, angeheizt werden. Der Toissech von Gestalt A will sich an diesen Ränken nicht nur beteiligen, sondern entscheidend gestalten und prägen.
Im Dáil sitzt seit dem vergangenen Jahr mit Cóem zum ersten Mal seit dem Bestehen eine Frau, eine Súile Nathrach, ein »Auge der Schlange«, gleichberechtigt formal mit jedem Toissech. Und obwohl Mann und Frau in Erainn auf derselben Stufe stehen, sind einige der Toissechs einer Meinung: »Das haben wir noch nie so gemacht, das ist nicht gut.«
Cóem soll sterben. Das will der Toissech von Gestalt A. Das ist der Auftrag. Warum soll Cóem sterben? Um Unruhe zu stiften, eine missliebige Person aus dem Weg zu räumen, den Pfad zu einem Umsturz bereiten, bei dem der ungenannte Toissech die Zügel in den Händen halten will. Sobald ein Mitglied des Dáils aus dem Weg geräumt wurde, fände der Umsturz statt.
Auf Nachfrage von Gestalt B weigert sich Gestalt A, den Namen des Toissech preiszugeben, gleichwohl die Vermutung auf der Hand liegt, dass es sich bei ihm um eines der beiden männlichen Mitglieder des Dáil handeln muss.
Wie also lautet der Auftrag für Gestalt B, und warum wurde Gestalt B ausgesucht. Und, was Gestalt B zuerst interessiert, wie schaut die Belohnung aus?
Über die Belohnung wird wortreich gefeilscht. Gestalt B interessiert sich ausdrücklich für den Ciallin; Gestalt A lehnt diese Forderung rundweg ab. Stattdessen wechselt am Ende ein Beutel mit klimpernden Nathrod den Besitzer. Und nach erfolgreichem Abschluss des Auftrags soll ein äußerst kostbarer Edelstein von einer Hand in die andere übergehen, und wenn der Umsturz gelingt, werde man sich an ihn sehr wohlwollend erinnern.
Gestalt B zeigt sich nicht vollends zufrieden – der Ciallin reizt Gestalt B sehr –, willigt aber letztlich in das Angebot ein.
Der Auftrag lautet einfach: Töte Cóem. Art und Weise bleiben Gestalt B überlassen. Die Zeit drängt, jeder Tag warten sei ein verlorener Tag bei den Plänen des Toissech. Warum Gestalt B ausgewählt wurde? Weil seine bisherigen Taten, die er als Dieb beging, nicht unbekannt geblieben sind. Worüber Gestalt B einerseits überrascht ist, andererseits er sich gebauchpinselt fühlt. Immerhin bringt ihm das nun einen lukrativen Auftrag ein. Mord, so sagt Gestalt B, gehöre zwar nicht zu seinem alltäglichen Geschäft, doch sei Mord ihm nicht unbekannt, auch wenn dies in der Diebesgilde verachtet sei, solange nicht »gute Gründe« dafür sprechen.
Eine deftige Belohnung ist in Gestalt Bs Augen immer ein guter Grund …
Ein Missgeschick passierte mitten im Gespräch, was für einige Missstimmung sorgte. Gestalt A, die stets mit sonorer Stimme sprach, verhaspelte sich sozusagen, die Stimme schlug um, geriet allzu hoch klingend, woraufhin Gestalt A sofort verstummte, sich hastig unter den Mantel griff, ein Amulett kurz in den Fingern hielt, dass wohl nicht dort anlag, wo es hingehörte, und sofort wieder unter der Tunika verbarg. Hiernach verlief das Gespräch wie zuvor, wenn auch in noch angespannterer Stimmung.
Das Gespräch endet, als die Sonne ein erstes Funkeln durch die dachlose Ruine auf den Boden wirft. Der Ciallin wird sorgsam eingepackt, danach wird kein Wort mehr gewechselt. Grußlos also gehen Gestalt A und Gestalt B auseinander. Gestalt A eilt davon in Richtung Markt und verschwindet alsbald unter den ersten Händlern, die sich in den Gassen dorthin tummeln. Später wird sie dem Auftraggeber berichten, dass Gestalt B den Auftrag ausführen wird. Der Auftraggeber (oder ist es etwa eine Auftraggeberin, allzu viel wissen wir ja nicht) wird zufrieden sein und anmerken, dass bald die verhasste Diebesgilde so richtig … am Bein haben wird. Ich verzichte auf die wortgenaue Widergabe, es lesen vermutlich wohlgesittete Menschen (und andere) mit. Jedenfalls scheint Gestalt B der Diebesgilde anzugehören.
Gestalt B nimmt gar nicht erst eine Verfolgung auf, glaubt sie doch, genau zu wissen, für wen Gestalt A arbeitet. Gestalt B also huscht ebenso weg in Gefilde der Stadt, in denen sie sich wohler fühlt. Dort begegnet Gestalt B einem ebenso groß gewachsenen Mann, der sich kurz erstaunt gibt darüber, dass Gestalt B zu so früher Stunde und in Gewandung, wie sie sonst nur bei verbotenen Aktivitäten getragen wird, unterwegs ist. Üblicherweise weiß er nämlich, was der andere macht. Auf seine direkte Frage weicht Gestalt B aus mit einigen holprigen Sätzen, die auf ein nächtliches Techtelmechtel schließen lassen sollen.
Die andere Person weiß nicht, was sie davon halten soll. Oder weiß sie es womöglich doch?
Anmerkungen: Die Stadtviertel in Areínnall und den größeren Städten mit starkem Bezug zu den Coraniaid sind mit Namen von Pflanzen (Bäume beispielsweise, oder Blumen) bedacht. In Griansprus leben vornehmlich Handwerker und Gewerbetreibende. Viele Gebäude sind nach dem Auszug der Coraniaid im Jahr 21 ndF und in den anschließenden, verheerenden Kriegen verlassen oder zerstört und nicht wieder aufgebaut worden.
Bei der grünen Kugel handelt es sich um einen kleinen »Stein der Sinne«; die Ciallin werden auf Emhain Abhlach von den Coraniaid geschaffen. Wie Gestalt A an diesen Stein der Sinne, einen Ciallin, gelangte, wird nicht aufgelöst. Dieser Ciallin verhindert offenbar, dass Geräusche innerhalb eines nicht näher ersichtlichen Umkreises nach außen dringen; das Gespräch kann also, so denken Gestalt A und Gestalt B, nicht belauscht werden. Wir gehen davon aus, dass Gestalt A nur ein Überbringer ist, bei dem es somit unmöglich erscheint, dass sie einen solchen Stein dauerhaft besitzen kann; vermutlich wurde er ihr leihweise ausgehändigt. Auf der anderen Seite wird ein Ciallin sicher nicht einem unzuverlässigen Beauftragten anvertraut, der eigentliche Eigentümer also muss einerseits wohlhabend sein oder über bestimmte Ressourcen verfügen, zum anderen großes Vertrauen in Gestalt A legen. Unzweifelhaft aber gehört dieser Stein eher nicht in die Hände eines gewöhnlichen Erainners, näher liegt die Vermutung, dass eine Coraniaid oder ein Coraniaid Eigentümer des Ciallin ist. Sicher aber können wir nicht sein, dass diese Vermutung nicht doch falsch ist …