Vor Crobhinmór
Jens Kosch + Uwe Gehrke
Küste von Erainn, in der Nacht
Ein großer Teil der Halbinsel ist gar nicht bevölkert und so war es kein Wunder, dass das fremdartige Schiff, das man an anderen Orten wohl eine Dschunke genannt hätte, nicht bemerkt wurde.
So konnten sich einige Männer daran machen, den Seeboden auszuloten. Sie verwendeten dabei Gewichte und waren sehr genau. Schließlich waren ihre Angaben für jeden wichtig, der an dieser Küste anlanden wollte.
»Macht endlich Schluss.« Die Stimme des Kapitäns war nicht nur ungeduldig, er war durchaus unsicher.
Dabei war der weißhaarige Fremdling kein Anfänger. Schon unter Hsüan Feng¹ hatte er bei solchen Operationen zugesehen. Damals war er der kleine Matrose Tschang gewesen, jetzt gehörte ihm ein eigenes Schiff.
Aber der hatte auch nicht die Blairs auf den Fersen. Seit einer unglücklichen Affäre mit diesen maritimen Vermögensumverteilern wurde er von diesen gejagt. Und wer ist schuld? Wer hat die blöde Milch serviert?²
»Wir würden gerne weitersegeln.«
»Aber ich bin sicher, dass es hier noch einige gute Buchten gibt.« Tschang hatte ein angeborenes Gefühl für Verstecke.
»Aber das ist Crobhinmór, hier ist ein Stützpunkt der Legion in der Nähe.«
»Und wo segeln wir sonst noch hin?«
»Wir sollen eine Insel namens Maraíleann ansteuern. Irgendwo im Süden.«
Maraíleann? Warum nicht in die Niederhöllen? Was hatte er Seigi³ getan, dass sie ihn auf die Insel schickte, wo angeblich die Blairs herkamen.
Für einen Moment spielte Tschang mit dem Gedanken, die Vermesser über Bord zu werfen.
Aber man sollte sich lieber nicht mit dem Mann aus Tarcy4 anlegen.
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Jens Kosch + Uwe Gehrke
Rehburg-Loccum/Hannover, Februar 2022
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1: Anführer einer ao-laischen Piratenflotte, die in die Alte Welt einfiel.
2: Als geborener Shintaiy verträgt Tschang keine Milch.
3: Shintaiysche Göttin der Blutrache und der kleinen Tümpel.
4: Besitzer des zweitgrößten Handelshauses im Reich des Feuers. Tschang hat für ihn Waffen an die esranischen »Freiheitskämpfer« geschmuggelt.